Jenseits Aller Zeit, Sebastian Barry

3,5 Sterne


Eine sprachlich eindrucksvolle, inhaltlich düstere Reise – mit Distanz zum Protagonisten


Sebastian Barry gelingt mit „Jenseits aller Zeit“ ein sprachlich außerordentlich anspruchsvolles Werk. Sein Stil ist von Detailgenauigkeit geprägt, literarisch nuanciert und atmosphärisch dicht. Die Sprache trägt wesentlich zur intensiven Wirkung des Romans bei und hebt ihn stilistisch von manchen zeitgenössischen Werken ab.

Handlung

Die Handlung selbst ist fesselnd konzipiert und entwickelt sich mit subtiler Spannung. Im Mittelpunkt von Sebastian Barrys Roman „Jenseits aller Zeit“ steht Tom Kettle, ein pensionierter Kriminalbeamter, der sich in einer kleinen Einliegerwohnung eines Anwesens an der irischen Küste zur Ruhe gesetzt hat. Seine Tage verbringt er in stiller Zurückgezogenheit, bis eines Tages zwei ehemalige Kollegen auftauchen und ihn zu einem Jahrzehnte zurückliegenden Mordfall befragen. Diese Begegnung reißt alte Wunden auf und konfrontiert Tom mit traumatischen Erinnerungen an seine Kindheit in einem kirchlichen Waisenhaus sowie an die Misshandlungen, die er und seine verstorbene Frau erlitten haben. Während die Grenzen zwischen Realität und Erinnerung verschwimmen, entspinnt sich ein vielschichtiges Porträt eines Mannes, der versucht, mit seiner Vergangenheit ins Reine zu kommen und einen Sinn in seinem Leben zu finden.

Triggerwarnung

Inhaltlich betritt Barry jedoch ein ausgesprochen düsteres Terrain. Themen wie Gewalt, Kindesmissbrauch und Suizid ziehen sich wie ein dunkler Schatten durch die Erzählung. Eine Triggerwarnung sei daher an dieser Stelle ausgesprochen. 

Warum nur 3,5 Sterne?

Trotz all dieser Qualitäten blieb mir der Protagonist über weite Strecken fremd. Es fiel mir schwer, eine emotionale Verbindung zu ihm aufzubauen. Phasenweise erschien mir seine Gedankenwelt zu konstruiert – als hätte Barry hier mit literarischer Überhöhung eine Distanz geschaffen, die zwar stilistisch interessant, aber emotional hinderlich ist. In manchen Passagen wirkt die ausschweifende Reflexion des Protagonisten etwas überformt – man fragt sich, ob ein Mensch in der jeweiligen Lage tatsächlich auf diese Weise denken würde. Dies hat für mich die Identifikation erschwert und mindert meiner Meinung nach die emotionale Wirkung der Geschichte.

Fazit

Nichtsdestotrotz lohnt sich die Lektüre. Der Roman überzeugt mit sprachlicher Brillanz, einer intensiven Atmosphäre und einer durchgehend spannenden Handlung. 

Über den Autor

Sebastian Barry gilt als einer der bedeutendsten zeitgenössischen irischen Schriftsteller. Er wurde mehrfach für seine Werke ausgezeichnet, unter anderem mit dem Costa Book of the Year Award sowie mehreren Nominierungen für den Man Booker Prize. Bekannt ist Barry für seinen poetischen Stil, seine fein gezeichneten Figuren und die intensive Auseinandersetzung mit der irischen Geschichte und Identität.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Das Leben von Jane Austen (Graphic Novel) von Janine Barchas und Isabel Greenberg

5 / 5 Sterne Mein absolutes Lesehighlight im September war – ohne jede Konkurrenz – die Graphic Novel über das Leben von Jane Austen, illust...