Weiße Nächte - Fjodor Dostojewski


Eine zeitlose Novelle über Liebe und alles, was dazu gehört: Träume, Hoffnungen, Einsamkeit, Angst, Enttäuschung, Sehnsucht...

5/5 Sterne 

Handlung:

Unser Protagonist (der namenlos bleibt) ist ein junger Mann, der in Sankt Petersburg lebt und dort oftmals durch die Straßen spaziert. Eines Abends begegnet er einer jungen Frau, Nastenka, die weinend am Gehsteig steht. Als er sich ihr nähern will, läuft sie davon, wird jedoch kurz darauf von einem Betrunkenen verfolgt. Unser Protagonist rettet die junge Frau vor den Annäherungsversuchen des Betrunkenen und es entspinnt sich ein wunderbar verletzliches, offenes Gespräch zwischen den beiden. An insgesamt 4 Abenden spazieren sie durch die Gassen und reden stundenlang miteinander - über ihr Leben, ihre Träume, ihre Hoffnungen, über ihr Sehnen und über die Liebe.

Schreibstil:

Dostojewskis Schreibstil in dieser Novelle ist detailreich, tiefgründig, teilweise poetisch, reflektierend und auch leidenschaftlich und gefühlvoll (manche mögen sagen, dramatisch). Erzählt wird die Geschichte aus der Ich-Perspektive des Protagonisten, der sich aber manchmal auch in direkter Ansprache an den Leser wendet. Die Sprache ist geprägt von Zeit (1848) und Raum (Russland), manches mag Lesern, die nur moderne Literatur lesen, daher vielleicht antiquiert oder seltsam vorkommen, doch ist es zugleich ein authentisches Zeugnis des soziokulturellen Umfelds des Autors.

Der Protagonist:

Unser Protagonist ist der Inbegriff eines introvertierten, schüchternen Träumers, der die meiste Zeit in seiner Fantasie und seiner Innenwelt verbringt. Noch nie hatte er Umgang mit einer Frau, noch nie eine Beziehung geführt. Obwohl Nastenka ihm das Versprechen abringt, sich nicht in sie zu verlieben, geschieht doch genau das. Doch inwieweit geht es überhaupt um Nastenka? Hätte er sich in jede Frau verliebt, die er zufällig getroffen hätte, einfach weil diese Liebe bereits in ihm lebendig war, erschaffen durch unzählige Fantasien und Tagträume über die Liebe? Hat dieses Gefühl, das bereits in ihm war, nur endlich ein Ventil gefunden?
In jedem Fall scheint die Begegnung mit Nastenka wertvoll für ihn gewesen zu sein - sie hat unseren Träumer mit einer kräftigen Portion Realität befruchtet.

Ist es Liebe?

Darüber, ob es sich bei dieser Begegnung wirklich um eine (unerwiderte) Liebesgeschichte handelt, oder nur um ein gegenseitiges Gebrauchen für die eigenen Projektionen, wurde schon viel diskutiert. Meine persönliche Sichtweise ist, dass beide bereit waren, ihr Herz für den anderen zu öffnen und die Begegnung von Offenheit und Verletzlichkeit geprägt war. Sie haben schnell emotionale Nähe hergestellt und das Allerwichtigste: Sie wünschen einander bis zum Schluss zu jedem Zeitpunkt nur das Beste und dass der andere glücklich sein möge. Dies ist aus meiner Sicht Ausdruck von Liebe - ungeachtet der Gegebenheiten ihres Verhältnisses.

Fazit:

Eine zeitlose Geschichte über Liebe und Begegnung, die zum Nachdenken und Reflektieren anregt und interessante Fragen aufwirft. Ein idealer Einstieg, um Dostojewski kennen zu lernen!

Meine gelesene Ausgabe

"Weiße Nächte", von Fjodor Dostojewski,
 Anaconda Verlag, 2024
(ISBN: 978-3-86647-181-8)

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